38 TEIL 1 DAV-EXPEDITIONSKADER MÄNNER 2025 ERFAHRUNGSBERICHT VON HANNES TEGETHOFF – TEILNEHMER AM EXPEDKADER 2025 Teil 1: Bewerbung um die Aufnahme ins Kernteam – Alpinismus, Team, Persönlichkeit Der Expedkader wird heuer 25 Jahre alt und wurde ins Leben gerufen, um den Alpinismus in Deutschland zu fördern. Teilnehmen können DAV-Mitglieder im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Die Teilnehmenden erhalten im Rahmen von verschiedenen Trainingscamps eine fundierte alpinistische Ausbildung. Neben der reinen Leistungsfähigkeit stehen auch die Persönlichkeitsbildung sowie Förderung der Teamfähigkeit im Mittelpunkt. Das Highlight der dreijährigen Kaderzeit ist eine vom Team eigenständig organisierte fünfwöchige Abschlussexpedition. Ob der Fokus dabei beispielsweise auf der Erstbegehung einer Bigwall in Grönland oder auf der Erstbesteigung eines entlegenen Sechstausenders im Himalaya liegt, entscheidet das Team selbst. Zu Beginn werden zwölf junge Alpinisten ausgewählt, die für ein halbes Jahr die Vorauswahl des DAV-Expedkaders bildeten. Gemeinsam durchliefen sie einige Trainingscamps, aber nur sechs von ihnen wurden im August 2023 für das Kernteam ausgewählt. Diesen sechs stehen nun zwei intensive Ausbildungsjahre bevor, mit dem Ziel der oben beschriebenen Abschlussexpedition.
39 Ausbildung in der Steinernen Stadt am Sellapass Chamonix – Granitklettern Einen Monat später, August 2023. Wahnsinn! Eine gigantische rote Felswand aus Granit wallt über unseren Köpfen. Ich stehe mit Luis und Jonas vom Expedkader am Einstieg unserer für heute geplanten Route, am Grand Capucin, ein riesiger Felsobelisk, dessen knapp 400 Meter hohe Ostwand beeindruckend steil aus dem Clacier du Géant emporschießt. Die „L’or du temps“ von Arnould Petit und Nina Caprez folgt auf den ersten zwei Seillängen der bekannten Bonatti-Führe und verläuft im Anschluss durch meist überhängendes Gelände ziemlich direkt zum Gipfel. Die Absicherung erfolgt auf weite Strecken mit Cams. Pfalz – Behelfsmäßige Bergrettung und Tradklettern Das erste Trainingscamp führte uns im Mai 2023 in die Pfalz. Wir kletterten vor allem Risse, um mit Cams und Keilen vertrauter zu werden und wiederholten Sportkletterrouten wie „Magnetfinger“ (IX+) oder „ZEC“ (X). Neben dem Klettern lag der Fokus des Lehrgangs auf dem Standplatzbau im alpinen Gelände sowie auf der behelfsmäßigen Bergrettung. Die drei Bergführer Sebastian Brutscher (Trainer), Christoph Gotschke und Jürgen Oblinger vermittelten uns in Kleingruppen die Basistechniken Flaschenzugmethode, Bodyhauling und Seilverlängerung. Anschließend übten wir komplexere Szenarien. In Rollenspielen retteten wir unsere verletzten Vorsteiger aus Quergängen und brachten bewusstlose Nachsteiger zum Standplatz. Uns allen war bewusst, dass wir für den Ernstfall übten. Wir wussten: So oft wie möglich sollten wir diese Techniken üben, damit wir sie selbst in Stress- und Krisensituationen im alpinen Gelände routiniert abrufen können. Chamonix – Hochtouren und Eisausbildung Anfang Juli 2023 trafen wir uns in Chamonix. Doch Sonne und Regen wechselten sich ab. Touren wie beispielsweise der Innominata Grat auf den Mont Blanc waren bei diesem Wetter und den hohen Temperaturen objektiv zu gefährlich. Trotzdem holten wir das Maximum aus jedem Tag heraus. Zu Beginn der Woche schulten die Bergführer Brutscher, Oblinger, Wärthl und Heller Steigeisentechniken, Rückzugsmethoden im Eis, wie beispielsweise das Abseilen an Eissanduhren, sowie Spaltenbergung. Die kommenden Tage nutzten wir für klassische bis gehobene Hochtouren. In Kleingruppen wurden Touren auf die Aguille Noire de Peuterey, den Grand Paradiso und die Petites Jorasses unternommen. Eingeschüchtert durch die Steilheit und Schwierigkeit der Route, aber mit dem Wissen, dass ich mit zwei richtig guten Kletterern unterwegs bin, steige ich in die erste Länge ein. Die ersten zwei Längen kenne ich schon von einer Begehung der Bonatti-Führe des vorigen Jahres und wir kommen schnell voran. Ab der fünften Seillänge steilt sich das Gelände auf und es geht richtig zur Sache. Aber es läuft gut, Luis und Jonas können alle schweren Längen bis zum oberen neunten Grad direkt im ersten Versuch frei klettern. Saustark die zwei! In der Schlüsselseillänge kämpfe ich mich im Nachstieg einen überhängenden Riss empor und balanciere im Anschluss durch trickreiche Wandkletterei. In der letzten schweren Passage, kurz vor dem rettenden Standplatz, rutscht mir der Fuß ab und ich falle ins Seil. Mist, das war’s für mich mit der freien Begehung. Aber egal, Fokus nach vorne! Ich ziehe mich die letzten Meter in technischer Kletterei zum Stand nach oben. Nach den zwei Längen im neunten Grad folgen drei Achter- und eine Sechserlänge bis zum Gipfel. Wir schaffen es bis zur vorletzten Länge unter den Gipfel. Dann aber verlassen uns unsere Kräfte. Die Sonne hat unsere Ostwand längst verlassen und wir klettern im Schatten. Mit jedem Meter wird es kälter und windiger auf knapp 3.800 Metern Höhe, und unsere Unterarme brennen. Wir sind so nah vor dem Ziel. Wir könnten es schaffen. Aber eine Stimme in mir ruft, dass wir abbrechen sollten. „Lasst uns umdrehen“, sage ich. Die anderen beiden stimmen mir nickend zu. Wir beschließen abzuseilen, da die Kraft für eine freie Begehung nicht mehr ausreicht. Bei der spektakulären, meist freihängenden Abseilfahrt wird nochmal richtig deutlich, wie ausgesetzt und beeindruckend die Route ist. Erschöpft, aber glücklich kommen wir eine Stunde später am Wandfuß an. Mit eisigen Fingern geht’s zackig von den Kletterschuhen in die steigeisenfesten Schuhe und ab ins Biwak auf dem Gletscher. Die Sonne verschwindet über dem Mont Blanc und taucht die Gipfel um uns herum in ein sagenhaft schönes Abendrot. Was für ein unvergesslicher Tag und was ein Abenteuer, das wir heute in dieser wilden Szenerie aus Felsen und Gletscher erleben durften! Text: Hannes Tegethoff Fotos: Jonas Fertig, Philipp Abels Der Bericht beschreibt im Folgenden die einzelnen Trainingscamps, welche durchlaufen werden mussten, um in den Expedkader 2025 aufgenommen zu werden. Da wir im Alpinisten den hohen Anspruch an die Bewerber in seiner Gesamtheit darstellen möchten, haben wir den Bericht in zwei Teile geteilt. Teil 2 folgt im Alpinist 160 Juli 2024. (Anmerkung der Redaktion)
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